Viele Firmen und Projekte haben einen Slogan, Leitbilder (= Mission Statements), Visionen, Grundwerte (= Core Values), Philosophien, … die den Willen des Projekts oder der Firma beschreiben. Ich denke, dass solche kurz und knappen Aussagen Firmen und Projekten helfen, von Menschen verstanden zu werden. Daraus können dann Ideologien und langfristiges Verhalten abgeleitet werden und Entscheidungen getroffen werden, ob einem dieses Projekt zusagt oder eben nicht. Ohne derartige Aussagen halte ich das für ziemlich unmöglich.
Im Folgenden will ich generell auf kurz und knappe Aussagen eingehen und fasse diese für mich als Visionen zusammen. Natürlich sind Grundwerte und Leitbilder unterschiedliche Dinge und relevant, aber beides geht für mich grundlegend in dieselbe Richtung: Idealbilder der Zukunft.
Warum braucht es Visionen
Nehmen wir mal an, eine Firma stellt aktuell Autos her. Allein aus dieser Aussage kann man aber nicht viel dieser Firma verstehen. Weder als Mitarbeiter noch als Externer. Warum tut die Firma das? Was möchte die Firma damit erreichen? Wenn man diese Aussage jetzt um eine von unterschiedlichen Visionen erweitert, kommen damit ganz andere Zusammenhänge zustande.
Ich zähle mal ein paar hypothetische Visionen für besagte Auto produzierende Firma auf. Und dann betrachte ich, was diese Firma vermutlich tun wird, wenn Städte Autos aus Innenstädten verbieten, also wie diese Firma auf Änderungen reagiert.
Den Kunden das großartigste Fahrerlebnis bieten.
Diese Firma wird vermutlich auf besonders leise oder besonders eindrucksvolle Motoren setzen. Auch ist der Innenraum vermutlich ein besonderer Fokus. Wenn die Autos aus Innenstädten verboten werden, dann wird diese Firma sich vermutlich darauf einstellen, Langstrecken Fahrzeuge zu bauen um zwischen Städten oder auf Autobahnen das besagte Fahrerlebnis zu liefern.
Die urbanen Kunden möglichst schnell an ihr Ziel bringen.
Diese Firma ist vermutlich besonders auf Kurzstrecken Fahrzeuge spezialisiert und forscht möglicherweise in Richtung verbesserter Stop & Go Systeme. Vermutlich ist auch hier der Innenraum ein besonderer Fokus. Wenn die Autos aus Innenstädten verboten werden, dann wird diese Firma vermutlich andere Transportmittel einsetzen wollen, um weiterhin urbane Kunden schnell an ihr Ziel zu bringen. Vielleicht macht diese Firma dies auch bereits oder hat bereits vor dem Verbot selbst festgestellt, dass es bessere Wege gibt, um die Vision zu erfüllen.
Rennfahrzeuge bauen, die besonders energieeffizient Rennen gewinnen.
Diese Firma ist auf Rennfahrzeuge spezialisiert. Ein besonderes Augenmerk liegt hier besonders auf der Effizienz. Vielleicht bauen sie auch besonders große Rückspiegel ein, um die Konkurrenz besser sehen zu können. Und der Firma ist es vermutlich völlig egal, was Städte in ihren Innenstädten beschließen.
Diese drei Firmen passen alle auf die Aussage, dass sie aktuell Autos herstellen. Aber durch einen einzigen Satz als Vision können wir ableiten, wie sie sich vielleicht in Zukunft verhalten werden und für was diese Firmen kämpfen werden. Sie helfen uns selber und anderen einen Blick in die entfernte Zukunft zu werfen und daraus einen Weg abzuleiten, wie man vielleicht dort hin kommt.
Was habe ich von Visionen
Visionen helfen im Grunde zwei Gruppen: denen im Projekt / der Firma und denen außerhalb.
Was habe ich als Externer / Kunde / Nutzer von Visionen
In den meisten Fällen sind wir nicht Teil von Projekten und Firmen, sondern betrachten diese nur von außen. Dabei sehen wir als Erstes die offensichtlichen Dinge. Mehrere Firmen stellen beispielsweise etwas her, was ich brauche. Nun habe ich als Kunde die Möglichkeit, nach unterschiedlichen Kriterien zu entscheiden, was mir zusagt. Selbst wenn ich nur auf den Preis achte, haben Visionen möglicherweise bereits einen Einfluss. IKEA beispielsweise spricht von Preisen, die sich so viele Menschen wie möglich leisten können. Aber ich kann auch noch andere Dinge davon ableiten.
Kaufe ich beispielsweise bei einer Firma, die Inklusion als Grundwert hat, wird das Produkt vermutlich besonders zugänglich sein. Habe ich ein Problem mit dem Produkt, welches der Vision entgegensteht, so wird diese Firma eher gewillt sein, dies zu verbessern. Um hier mal ein Beispiel zu nennen: Habe ich eine Sehbehinderung, wird besagte Firma mir vermutlich eher helfen wollen, mein Gerät zu bedienen, als eine mit völlig anderen Visionen.
Spannend wird es aus meiner Sicht, je mehr sich jemand mit einem Projekt / einer Firma identifizieren will. Bis hin zu dem Punkt, bei dem Menschen freiwillig Lebenszeit aufwenden oder sich bei einer Firma aus eigenem Antrieb bewerben. Grade ehrenamtliche Projekte passieren, weil Menschen sich mit den Werten identifizieren. Aber auch das Bewerben bei Firmen aus dem Interesse heraus, für etwas dort sein zu wollen.
Was habe ich als Teilhabender / Mitarbeiter von Visionen
Je nach der Position, die ich in einer Firma habe, bieten Visionen auch unterschiedliche Möglichkeiten für mich. Im Grunde bieten sie aber immer eine Optimierungsgrundlage. Das tun wir gerade, das ist unsere Vision. Wie verändern wir das Aktuelle, um dichter an unsere Vision zu kommen? Aber auch die Frage, was man komplett anderes, unabhängiges machen könnte, um die Vision voranzutreiben.
Auch profitieren die agilen Ansätze von Visionen. Der Gedanke hier ist ja gerade aktiv auf neue Erkenntnisse zu reagieren und die Dinge zuerst zu machen, die einem besonders viel helfen. Und um zu sortieren, wofür man die Arbeitskraft einsetzen will, bietet die Vision aus meiner Sicht quasi die perfekte Grundlage.
Einen großen Vorteil von Visionen sehe ich noch in der dezentralen Eigenschaft dieser. Riesige Firmen können Visionen formulieren und diese dann, ohne durch eine zentrale Stelle abgenickt zu werden, ausführen. Natürlich muss man regelmäßig schauen, ob auch die Bestrebungen wirklich in Richtung der Vision laufen und ob diese vielleicht falsch aufgefasst wurde, aber im Grunde können Teams autark nach diesen Visionen handeln. Spannend sind hier beispielsweise Projekte wie “Fridays for Future” oder “Extinction Rebellion”, die quasi komplett ohne Kommunikation zwischen einander auskommen und trotzdem alle in Richtung ihrer Vision arbeiten. Eine Fähigkeit von Elon Musk ist wohl, in endlicher Zeit umsetzbare Visionen zu formulieren. Diese Beispiele zeigen aus meiner Sicht relativ gut, wie gut gute Visionen Menschen antreiben können und wie gut gut formulierte Visionen auch skalieren können.
Problem von Visionen
Natürlich haben Visionen, wie sie uns vorgesetzt werden, auch Kehrseiten.
Eine davon ist die positiv ausgedrückte Form dieser. Um mir klar zu werden, was vielleicht fehlt, muss ich ebenfalls zur Konkurrenz schauen, ob diese andere Visionen hat, die in Kontrast zueinander stehen. Selbst gruselige Firmen und Projekte haben meistens gute Intentionen, welche allerdings durch für mich fehlende Grundsätze aus meiner Sicht nicht mehr vertretbar sind. Diese muss man aber erst einmal finden und verstehen, da diese Nachteile quasi nie in der Vision selbst enthalten sind.
Ein weiteres Problem ist die Inkonsequenz. Visionen können zwar gut formuliert sein, werden aber nicht unbedingt immer eingehalten. Auch hier muss man selbst schauen, ob Worte und Taten übereinstimmen. Natürlich sind Menschen menschlich und machen Fehler, erlauben sich Fehlgriffe, aber wiederholen sie sich damit?
Eine aus meiner Sicht schlimmere Form der Inkonsequenz ist die bewusste Doppelmoral. Die Visionen werden öffentlich für Marketing Zwecke eingesetzt und intern gibt es andere Anweisungen.
Der Wandel der Zeit macht vor Visionen ebenfalls keinen Halt. Was einmal eine gute Vision zu sein schien ist mittlerweile vielleicht gar nicht mehr ganz das, was man erreichen will. Hier muss man regelmäßig in eine Diskussion gehen und Visionen überdenken, sodass diese “mit wachsen”.
Als letztes Problem in meiner Liste sehe ich noch die vage oder unverständlich formulierten Visionen. Zu vage Formulierungen oder als Extremfall “Null Aussagen” könnte man genauso gut weglassen, diese helfen einem nicht weiter. Visionen, die nicht verstanden oder unterschiedlich aufgefasst werden, führen ebenfalls dazu, die angedachten Visionen nicht zu erreichen. Unterschiedliche Auffassungen können dazu führen, in andere Richtungen zu handeln oder auch gegeneinander zu arbeiten. Wenn ich mich nicht fragen kann, hilft X für “kurze, prägnante Formulierung einer Vision”, dann ist die Vision zu komplex. Hier muss man vielleicht auch zwischen den Bestandteilen, die ich hier relativ einfach als Vision zusammen gefasst habe, unterschieden. Grundwerte beispielsweise können eine Vision unterstützen, aber generell sollte ein kurzer Satz als Vision alleine funktionieren.
Das Extrem der vagen Visionen ist das Vermeiden von Visionen oder das Formulieren von “Null Aussagen”. Visionen bedeuten Änderungen und Änderungen bedeuten Umstellungen und Risiken. Aber man darf auch nicht vergessen, das ein Risiko auch immer eine Chance darstellt.
Beispiele von Firmen und Projekten
Zu guter Letzt möchte ich noch auf ein paar Beispiele von Visionen eingehen, welche ich spannend oder bemerkenswert finde, auch wenn sie vielleicht nicht unbedingt mit meinen Idealen übereinstimmen. Um hier unparteiischer zu sein, habe ich diese alphabetisch sortiert.
Apple: “[…] bringing the best user experience to its customers through its innovative hardware, software, and services.” Hier steht nicht wirklich im Fokus, was genau man macht, aber die User Experience ist das Ziel. Auch ist hier Innovation hervorgehoben, Weiterentwicklung ist also ebenfalls von Interesse. Zusätzlich sind hier die Grundwerte interessant: “inclusion and diversity, education, accessibility, environment, supplier responsibility and privacy.” Zum einen sehr individuell (inclusion, diversity, accessibility, privacy) als auch auf das Umfeld bezogen (environment, supplier responsibility).
Blizzard: “[…] dedicated to creating the most epic entertainment experiences […]” Zudem sind noch die Grundwerte interessant: “gameplay first, commitment to quality, play nice; play fair, embracing inner geek, respecting everyone, thinking globally, leading responsibly and learn and grow”. Es geht Blizzard bei den Spielen also besonders um epische Unterhaltung (was auch die Handlungen und die epischen Filmsequenzen erklären sollte). Aber auch beispielsweise “embracing the inner geek” als Grundsatz, welcher gut zu Cosplay auf ihren Veranstaltungen passt.
Free Software Foundation: “[…] we want all computer users to be able to do everything they need to do on any computer, using only free software.” Eine interessante Kombination aus “all”/“any” und “able to”, in der die allumfassende Aussage deswegen möglich werden kann, weil es “nur” die Möglichkeit bieten will.
Google: “[…] organize the world’s information and make it universally accessible and useful.” Auch ist einer der Grundwerte “There’s always more information out there”. Ein aus meiner Sicht gutes Beispiel, dass man selbst finden muss, was einem in einer Vision fehlt. Ja, es geht in einem der Grundwerte um den Nutzer (“Focus on the user and all else will follow”), aber nichts in den Aussagen hat irgendwelche Grenzen. Beispielsweise Privatsphäre wird nicht erwähnt, “Don’t be evil” wurde so halb entfernt. Datenkrake die grenzenlos Daten sammeln und allen in einer hoffentlich nutzbringend aufbereiteten Form zur Verfügung stellen will.
IKEA: “offering a wide range of well designed, functional home furnishing products at prices so low that as many people as possible will be able to afford them.” Zwei Punkte stechen hier relativ direkt für mich heraus: Funktional und Preise, die sich so viele Menschen wie möglich leisten können.
pine64: “[…] deliver Arm and RISC-V devices that you want to use and develop for. […] allow FOSS principles to guide our business.” Hier besteht ein Interesse, Geräte zu bieten, für die man entwickeln möchte. Man kann also aus der Vision schon erkennen, dass sie an Entwicklern interessiert sind. Auch wird explizit FOSS erwähnt, es besteht also ein Interesse an der Freiheit der Nutzer, dass zu tun, was diese für richtig halten.
SpaceX: “humanity as a multi-planetary species.” Die Vision hat hier viele Fans und einen Hype losgetreten, mit dem sich viele Menschen identifizieren können und die diese Vision ebenfalls sehen wollen. Quasi Science Fiction zum Anfassen. Gleichzeitig entspringen SpaceX Projekte wie Starlink, welche nicht unbedingt direkt für ihre Vision gebraucht werden. Diese sind quasi “nur” als Finanzierung gedacht, da diese durch SpaceX vergleichsweise leicht umgesetzt werden können und gut mit bestehenden Projekten interagiert.
Tesla: “[…] accelerate the world’s transition to sustainable energy.” Der Vision ist es quasi egal, dass andere Firmen auch elektrische Fahrzeuge bauen, genau genommen hilft es der Vision sogar. Auch ein spannendes Beispiel für die Anpassung einer Vision, da diese vor ein paar Jahren noch spezifisch auf “electric vehicles” ausgelegt war, jetzt aber generell von “sustainable energy” spricht. Hier sind beispielsweise Solar Roof oder Powerwall relevant, da diese sowohl Infrastruktur als auch Recycling und Langzeitverwendung von Lithium-Ion Akkus bieten.
Die Website mission-statements.com betrachtet relativ viele Firmen und kann relativ einfach mittels site:mission-statements.com company
nach einer speziellen Firma durchsucht werden.
Diese listet ihrerseits viele Quellen für die Visionen von den betrachteten Firmen.
Fazit
Aus meiner Sicht sollten Projekte und Firmen Visionen (und all solche kurzen, sprechenden Aussagen, die ich hier zusammenfasse) haben wollen. Ich weiß, dass das nicht immer ganz einfach ist, diese zu finden und vor allem kurz und präzise zu formulieren. Aber ich denke, dass dies sowohl für Interne als auch Externe lohnt und diese nur bestärken kann, im Interesse der Vision zu handeln. Nicht allen werden Aspekte von Visionen gefallen und Dinge ändern sich über die Zeit, das wird zu Diskussionen und Abwendungen führen. Aber die Alternative wäre eine langweilige Zukunft, bei der alles wie gestern ist. Das können wir besser: Lass uns auf den Weg machen und unseren großartigen Visionen für die Zukunft ein Stück weit näher kommen.